Sozialgeschichte der Medizin - IGM-Projekte

Ein freiwilliger Lebensabend im Land der Täter. Die stationäre Versorgung älterer Juden sowie rassisch Verfolgter nichtjüdischen Glaubens im westlichen Nachkriegsdeutschland (1945 bis ca. 1975)

(Bearbeiterin: Dr. Nina Grabe)

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs entschied sich nur eine geringe Anzahl deutscher Juden für einen dauerhaften Verbleib in Deutschland. Unter Ihnen gab es vergleichsweise viele ältere Menschen, weshalb es schon in den ersten Nachkriegsjahren zur Einrichtung jüdischer Altersheime, u. a. in Essen-Werden, Hannover und Neustadt in der Pfalz. 

Dort aufgenommen wurden neben den Überlebenden der Konzentrationslager und den in einer sog. „Mischehe“ lebenden Juden zunehmend auch die aus dem ausländischen Exil zurückgekehrten sog. „Rückwanderer“. Den Großteil der Bewohner stellten die Remigranten ebenfalls im – gleichfalls in diese Untersuchung einbezogenen – evangelischen Altersheim für ehemals „rassisch Verfolgte nichtjüdischen Glaubens“ in Bad Vilbel. 

Im Fokus der vorliegenden Studie steht die Situation der Heime und der dort lebenden alten Menschen. Wie gestalteten sich der Heimalltag und die Aufnahmemodalitäten? In welcher Weise wirkte sich ihre Verfolgungsgeschichte auf ihre körperliche und psychische Gesundheit sowie auch auf das Zusammenleben und die Beziehungen zu den Mitbewohnern und dem Personal aus? Legten die Heimleitungen Wert auf die Einhaltung religiöser Bräuche und Speisevorschriften? Wie konnte vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Mangels an Pflegepersonal die pflegerische und medizinische Betreuung der Heimbewohner gewährleistet werden? 

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Männer in der Pflege im 20. Jahrhundert

(Bearbeiter: Dr. Christoph Schwamm)

So spärlich erforscht das Thema nach wie vor ist, eines bleibt so klar wie überraschend: Aus historischer Sicht kann von Pflege als einem Frauenberuf keine Rede sein. In allen einschlägigen vormodernen Texten erscheinen Männer als Pfleger, und dies keinesfalls als kuriose Ausnahme. Erst sehr viel später, mit der Entstehung der professionellen Pflege seit Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde der Beruf zur „Frauensache“, allerdings nur auf der Diskursebene.
Tatsächlich verschwanden männliche Krankenpfleger nie aus den Krankenhäusern und Pflegeanstalten. Weitgehend unerforscht ist, wie es dieser Minderheit in den vergangenen 150 Jahren ergangen ist. Wie viele Männer pflegten berufsmäßig in dieser Zeit? In welchen Bereichen wurden sie eingesetzt? Aus welchen Verhältnissen stammten sie? Erlebten sie Diskriminierung und Stigmatisierung aufgrund ihres Geschlechts? Oder hatten sie durch ihr Geschlecht vielmehr einen Vorteil ihren Kolleginnen gegenüber? In welchem Verhältnis standen sie zu Kolleginnen, Patienten, Angehörigen und Ärzten?
Als Quellen dienen Berufsstatistiken, Veröffentlichungen der Berufsorganisationen und Gewerkschaften wie beispielsweise deren Verbandszeitschriften, Berichte sowie Lehr- und Sachbücher von einzelnen Akteuren. Aus diesen lassen sich Angaben zur Anzahl männlicher Pfleger und ihren Einsatzschwerpunkten ziehen. Sie dienen darüber hinaus der Rekonstruktion von allgemeinen Entwicklungen und Konflikten in Bezug auf die Männer innerhalb der Organisationen. Weitere Quellen helfen bei der Erschließung des Alltags der Krankenpfleger. Hierzu sollen Archivbestände von Kliniken und Gesundheitsämtern ausgewertet werden. Neben Personalakten finden sich darin Programme und Teilnehmerlisten von Fortbildungsveranstaltungen, Anträge auf Gewährung von „Taschengeldern“, Gehaltslisten sowie Dokumente, die Auskunft über die Art der Unterkunft und Verpflegung geben können.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Die medizinische Versorgung von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges

(Bearbeiterin: Dr. Anja Waller)

In den zumeist regionalhistorischen oder institutionsgeschichtlichen Forschungsprojekten zur Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges nimmt die medizinische Versorgung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter oftmals nur eine untergeordnete Rolle ein. Über die medizinische Versorgung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die in der Landwirtschaft oder in Privathaushalten, kleinen Firmen und Einrichtungen eingesetzt waren, ist bisher kaum etwas bekannt. Ähnlich verhält es sich mit den Ärzten, Pflegern und anderen Fachkräften aus den Reihen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter selbst, die zur medizinischen Versorgung eingesetzt waren. Wie war die Anwerbung, Verteilung und der Einsatz organisiert? Welche Möglichkeiten und Grenzen hatte ihre Arbeit? Neben der Rekonstruktion der medizinischen Versorgung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Gebiet Württemberg, insbesondere außerhalb der großen Lager, soll darüber hinaus auf die Frage eingegangen werden, ob und wie sich die medizinische Versorgung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aufgrund verschiedener Faktoren (Wohnort, Alter, Herkunft, Geschlecht) unterschied und wo die Gründe dafür lagen.

Gesundheit und Krankheit erwerbstätiger Frauen in Deutschland im 20. Jahrhundert

(Bearbeiterin: Bianca Morlock, M. A.)

Ziel dieses Promotionsvorhabens ist es, einen Beitrag zum Verständnis der Gesundheitsverhältnisse erwerbstätiger Frauen in Deutschland im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu leisten. Bedingt durch die mit der Industrialisierung ab Ende des 19. Jahrhunderts einhergehenden tiefgreifenden sozialen Strukturveränderungen wandelte sich die Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland grundlegend. So betrug die Frauenerwerbsquote bereits 1907 rund 30 Prozent – ein Anteil, der sich mit Ausnahme der Kriegszeiten bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt. Untersucht werden sollen u. a. die gesundheitserhaltenden Aktivitäten von erwerbstätigen Frauen, aber auch die Flankierung durch Maßnahmen von Seiten der Arbeitgeber und des Staates. Die Frage „Was macht(e) Frauen krank?“ sowie die weiterführende Frage, wie zeitgenössisch damit umgegangen wurde, sind leitend. Im Fokus stehen dabei Arbeiterinnen im Industriesektor und die im Büro arbeitenden weiblichen Angestellten. Da diese Frauengruppen mit ungleichen physischen und psychischen Belastungen konfrontiert waren, welche sich verschieden auf ihre Gesundheit auswirkten, wird eine Trennung nach Erwerbsarten angestrebt, um im Verlauf der Untersuchung mit Hilfe von Vergleichen die Aussagekraft der Analyse zu erhöhen. Die Recherche der dafür notwendigen Quellengattungen, beispielsweise in Unternehmensarchiven, hat erste Hinweise ergeben, muss aber noch ausgeweitet werden. Dazu kommen gedruckte Quellen, wie Zeitschriften unterschiedlicher Disziplinen (Beispiel Arbeitsmedizin) und Institutionen (z. B. Krankenkassen, Mitarbeiterzeitungen).

Eltern, Kinder und Jugendliche als Adressaten von geschlechtsspezifischer Gesundheitsaufklärung und Prävention von ca. 1900 bis 2000

(Bearbeiterin: Dr. Kristina Matron)

In diesem im August 2017 begonnenen Projekt steht die Auswertung von Ratgeberliteratur, die sich an Eltern, Kinder und Jugendliche wandte und auf deren Gesundheitsverhalten zielte, im Mittelpunkt. Zunächst wurden über 250 Ratgeber in eine Datenbank eingegeben, um sie nach Autorenschaft, Zielgruppe und Themenfeldern ordnen zu können. Einige dieser Ratgeber werden nun genauer analysiert; der Schwerpunkt liegt hier auf Ratgebern und Büchern, die in der Bundesrepublik Deutschland erschienen und breiter rezipiert worden sind. Das Projekt wird die Themenfelder Gesundheit und Prävention in den Bereichen Sexualität und Entwicklung, Drogen, Ernährung und Bewegung, Verhalten und Familienleben genauer in den Blick nehmen.
Erste Ergebnisse zeigen, dass es sowohl bei der Adressierung als auch bei den Inhalten eine geschlechtsspezifische Komponente gab. Mütter oder Mädchen wurden häufiger angesprochen als Väter oder Jungen. In einigen Themenfeldern wie dem Bereich Drogen hingegen erfolgte eine geschlechtsspezifische Ansprache erst in allerjüngster Vergangenheit. Unterschiede von Mädchen und Jungen im Kinder- und Jugendalter wurden behauptet. Diese Differenzfeststellungen nahmen in den 1970er Jahren, beeinflusst von der Frauenemanzipationsbewegung, zunächst ab, in jüngerer Vergangenheit jedoch wieder zu und stützten sich zum Teil auf Begründungen aus der Hirnforschung. 2018 sollen die Ergebnisse des Projektes in einem Aufsatz dargestellt werden.

„Deine Gesundheit, unser Staat“: Patientenerfahrungen im Gesundheitswesen der Deutschen Demokratischen Republik

(Habilitation, Bearbeiter: Markus Wahl)

Im Titel des Sammelbandes „Deine Gesundheit, unser Staat“ von 1969 beschrieb der Herausgeber Kurt Winter, ein angesehener Sozialmediziner in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), eines der wichtigsten Maxime des sozialistischen Gesundheitswesens: das Recht auf kostenlose Gesundheitsfürsorge, aber auch die Pflicht eines jeden einzelnen DDR-Bürgers, sich gesund zu halten. Ausgehend von diesem Sachverhalt wird im Habilitationsprojekt der Frage nachgegangen, wie sich die sozialen und medizinischen Transformationsprozesse in der DDR auf die Patientenerfahrung im Sprech- oder Krankenzimmer ausgewirkt haben. Dabei handelt es sich um eine Mikrostudie für die Stadt Dresden und den ländlichen Raum des Dresdener Bezirkes. In dem Projekt werden die medizinische, aber auch die soziale Behandlung und damit die Erfahrung der Patienten am Beispiel von Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose und Alkoholabhängigkeit untersucht. Dabei sollen Prävention, Behandlung und Pflege durch zum Beispiel Fürsorgerinnen, Betriebsärzte und das Pflegepersonal in- und außerhalb von medizinischen und sozialen Institutionen im Fokus stehen. Die Analyse der drei ‚Proletarierkrankheiten‘ stützt sich auf Korrespondenzen, Berichte, Egodokumente und Ausstellungsmaterialien aus privaten und öffentlichen Institutionen und Archiven sowie populäre Literatur, um in den Mikrokosmos der verschiedenen Akteure im sogenannten Arzt-Schwester-Patienten Verhältnis und dessen Umfeld in der DDR vordringen zu können.

Das osmanische Gesundheitswesen in den Berichten der venezianischen Konsulatsärzte (15.-18. Jahrhundert)

(Bearbeiterin: Dr. Sabine Herrmann)

Im Zuge einer verstärkten Auseinandersetzung mit islamischer Geschichte, Kultur und Sprache begaben sich im 15. und 16. Jahrhundert auch venezianische Ärzte nach Ägypten und in den Orient. Im Gegensatz zu Pilgern waren deren Reiseberichte jedoch nicht durch
einen ausgeprägten Schematismus geformt, der sich zumeist auf die Beschreibung heiliger Stätten beschränkte, sondern die Autoren zeichneten sich durch ein ausgeprägtes ethnographisches Gespür, eine gute Beobachtungsgabe und ein mannigfaltiges Interesse außerhalb der Medizin aus. Während sich diese Ärzte anfangs vor allem auf die Erschließung und Kommentierung arabischer medizinischer Texte als Quellen für verbesserte lateinische Übersetzungen konzentriert hatten, entwickelte sich im Lauf des 16. Jahrhunderts eine Vorliebe für die Beschreibung landestypischer Krankheiten sowie für die pharmazeutisch-botanische und zoologische Feldforschung. Auch wenn die galenische Autorität im Westen letztendlich unangetastet bleiben sollte, gelangten auf diese Weise diverse therapeutische Ansätze nach Europa. Ärzte wie Andrea Alpago oder Prospero Alpino können daher als wichtige Kulturvermittler und Akteure in kulturellen Transferprozessen betrachtet werden, die zudem das Interesse für semitische Sprachen, orientalische Antiquitäten und arabische Folklore weckten, weshalb ihre Werke bis ins 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des Orientalismus, geschätzt wurden und als wichtige Referenzwerke dienen sollten. Gesammelt und erstmals untersucht werden in diesem Habilitationsprojekt gedruckte Werke, Chroniken und Traktate, die über die Tätigkeit der bekanntesten venezianischen Konsulatsärzte vom 15. bis zum 18. Jahrhundert Auskunft geben können. Die historische Darstellung fokussiert dabei auf eine kulturanthropologische Perspektive, bei der die Wechselwirkung der christlich bzw. osmanisch geprägten Kulturen im Vordergrund steht. Diese Fallstudie soll damit nicht nur einen Beitrag zur Kulturgeschichte Venedigs, sondern auch zu den interkulturellen Verflechtungen im Mediterraneum und deren Bedeutung für die Wissensgeschichte Europas leisten.

Pflegedinge und Pflegealltag (Arbeitstitel). Eine Geschichte pflegerischen Handelns vom frühen 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert auf der Basis pflegehistorischer Objektforschung

(Bearbeiterin: Isabel Atzl)

Die Geschichte der pflegerischen Tätigkeiten und Aufgaben im Umgang mit kranken und pflegebedürftigen Menschen stellt im Rahmen der pflegehistorischen Forschung ein Desiderat dar. Welche Verrichtungen Pflegende tagtäglich vorgenommen, was sie also genau getan haben, dazu gibt es bislang kaum Literatur.

Das geplante Dissertationsprojekt wird sich auf der Basis objektbezogener pflege-historischer Forschung mit der Rekonstruktion pflegerischen Handelns beschäftigen und dabei die Zeit vom frühen 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert in den Blick nehmen. Vor allem in dieser Zeit eröffnet sich mit dem Fokus auf die empfohlenen und verwendeten Gegenstände ein einmaliger Einblick in die pflegerische Arbeit. Bei allen Tätigkeiten, die Pflegende am, mit und für den Kranken ausführten, sieht man vom seelischen Beistand ab (und selbst hierbei konnten Objekte wie beispielsweise Rosenkränze oder Gesangbücher eine Rolle spielen), kamen Gegenstände zum Einsatz, die, selbst wenn sie dem Alltag entstammten und nicht explizit für die Pflege entwickelt worden waren, in einer bestimmten Art und Weise verwendet werden sollten. Zu diesem Zweck mussten Pflegende geschult werden, und so findet sich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts umfangreiches Material in der entstehenden Pflegelehrbuchliteratur, das Auskunft über die Verwendung und korrekte Anwendung von Pflegedingen gibt.

Basierend auf den Forschungsergebnissen des Teilprojektes „Historische Pflege-dinge“ im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojektes „Die Pflege der Dinge. Die Bedeutung von Objekten in Geschichte und gegenwärtiger Praxis der Pflege“ werden pflegerische Tätigkeitsfelder und ihre Veränderungen über die Auswertung der normativen Lehrbuchliteratur erfasst, mit erhalten gebliebenen Pflegedingen in Beziehung gesetzt und die Befunde an ausgewählten Stellen mit autobiographischen Zeugnissen abgeglichen. Mit dem strengen Blick auf die Objekte und ihre Handhabung werden nicht nur Handlungen in den Blick genommen, sondern die in ihnen aufgehobenen Bedeutungshorizonte sichtbar gemacht. Ebenso soll ein Einblick in die Aushandlungsprozesse zugewiesener Aufgaben und Tätigkeitsfelder Pflegender, in das hierarchische Gefüge von Ärzten und Pflegenden, in das pflegerische Selbstverständnis sowie in die gesellschaftlichen Vorstellungen und Normen im Umgang mit Kranken gegeben werden können.

Kooperation und Konflikte zwischen Ärzten und nichtärztlichen Gesundheitsberufen (1890-1990)

(Habilitation, Bearbeiter: Dr. phil. Pierre Pfütsch)

Ausgehend von den aktuellen Diskussionen um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung soll in diesem Projekt die historische Dimension näher betrachtet werden. Dabei geht es nicht nur, wie in der gegenwärtigen Diskussion, um die Schaffung neuer medizinischer Berufe, sondern auch um die Zusammenarbeit der Ärzte mit den bestehenden nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen. Im Zentrum der Untersuchung stehen mit den Ärzten als der einen und den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen als der zweiten (heterogenen) Großgruppe zwei Berufsgruppen, die durch unterschiedliche Professionalisierungsgrade und daraus folgend auch durch ein unterschiedliches Selbstverständnis geprägt sind. Gleichzeitig gibt es eine klare Hierarchie im Ansehen der Berufe: Die nichtärztlichen Gesundheitsberufe stehen unter den Ärzten. Bereits der früher verwendete Begriff „Heilhilfsberuf“ zeigt die Problematik auf: Während die Ärzte lediglich ‚Hilfe‘ erwarten, sehen sich Pflegende, Hebammen und Therapeuten vielmehr als ‚Partner‘ der Ärzte. Die Geschichte beider Akteure ist praktisch ohne den jeweils anderen als „Gegenspieler“ bzw. „Partner“ nicht vorstellbar.
Hierbei soll nicht nur die Geschichte der medizinischen Berufe näher erforscht werden, sondern es sollen allgemein die Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen und die daraus folgenden Auswirkungen auf die Entwicklung der Berufe beschrieben werden.

Patientenbewegung in Deutschland 1945-1985

(Postdoc-Stipendium, Bearbeiterin: Dr. phil. Ylva Söderfeldt)

Selbsthilfegruppen und Patientenvereine sind zu einer weitverbreiteten und einflussreichen sozialen Bewegung geworden, die individuelle Krankheitsbewältigung, klinische Entscheidungsfindungsprozesse und die Gesundheitspolitik beeinflusst. Entstanden sind die ersten Gruppen schon im 19. Jahrhundert, aber einen Aufschwung erlebte die Bewegung erst in der Nachkriegszeit. Es entwickelten sich über die folgenden Jahrzehnte Selbsthilfeinitiativen und -gruppen für beinahe alle gesundheitlichen Fragestellungen und Krankheiten, die oft – ähnlich wie andere soziale Bewegungen auch – gesellschaftspolitische Veränderungen erreichen wollten. Im Laufe dieser Entwicklung setzte auch eine Professionalisierung ein, die Selbsthilfe und Patientenbeteiligung als Bestand des medizinischen Versorgungssystems etablierte. Historisch beleuchtet wurde dieser Prozess jedoch kaum.
In diesem Projekt wird die Geschichte deutscher Patientenvereine am Beispiel ausgewählter Organisationen in den Jahren 1945-1985 behandelt. Eine systematische Analyse hauptsächlich gedruckter Quellen aus den Vereinen selbst und aus der medizinischen Fachwelt wird die Grundlage für eine Untersuchung ihrer Struktur und Tätigkeit. Den Hintergrund der Analyse bilden die Sozialstruktur der Patientengruppen, die kulturelle Stellung der angesprochenen Diagnosen sowie der Stand und die Entwicklung ihrer medizinischen Versorgung und des Fachwissens.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Arzt – ein krank machender Beruf? Leitbilder – Selbstbilder – Fremdbilder. Von der Mitte des 19. bis ca. Ende des 20. Jahrhunderts

(Promotionsvorhaben, Bearbeiter: Sebastian Wenger)

Mit der Einführung der Krankenversicherung im Jahr 1883 stiegen die Anforderungen an die Ärzte, denn die Zahl der zu versorgenden Patienten in den
Niederlassungen und den Krankenhäusern wuchs enorm. Zudem erhöhten die Ausdifferenzierung der Medizin und die damit verbundene Spezialisierung der Ärzteschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert die Konkurrenz innerhalb des Berufsstandes.
Es soll untersucht werden, inwiefern sich innerhalb des Untersuchungszeit-raumes die Arbeits- und Rahmenbedingungen von Medizinern auf ihre Gesundheit ausgewirkt haben, wie sie damit umgegangen sind, welche Hilfeleistungen ihnen zur Verfügung standen und welche sie in Anspruch nahmen. Ein deutsch-deutscher Vergleich für die Zeit nach 1945 wird angestrebt.
Als Quellen werden Verlautbarungen der ärztlichen Standesvertreter für das Deutsche Reich, die BRD und die DDR (u. a. der ärztlichen Unterstützungskassen sowie der ärztlichen Versorgungswerke), Verwaltungsberichte der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege sowie die Gemeindekassen herangezogen. Hinzu kommen Ärztezeitschriften wie das „Medicinische Correspondenzblatt des Württembergisch-Ärztlichen Vereins“, das „Deutsche Ärzteblatt“ und die „Zeitschrift für das gesamte Krankenhauswesen“. Statistiken zur Sterblichkeit, Lebensdauer und zu Erkrankungen von Ärzten („Medizinalstatistische Nachrichten“, „Reichsgesundheitsblatt“ etc.) bilden ebenfalls einen wichtigen Teil des Quellenkorpus. Zudem werden Ego-Dokumente, wie Autobiographien, Briefe und Tagebücher, berücksichtigt. Ergänzend kommen Dokumente aus den Beständen städtischer Archive hinzu, beispielsweise aus dem Bestand des Gesundheitsamtes der Stadt Stuttgart, die Aufschluss geben über Personaldichte und Arbeitsbedingungen in den kommunalen Krankenhäusern.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Die Entwicklung der Altenpflegeausbildung 1945-1990 in der BRD

Das Forschungsprojekt (Postdoc-Stipendium, Bearbeiterin: Dr. phil. Nina Grabe) ist Teil einer geplanten Buchveröffentlichung zur „Geschichte nichtärztlicher Berufe des Gesundheitswesens nach 1945“ (Arbeitstitel). Vorgesehen ist auch ein Kapitel zur historischen Entwicklung der Altenpflegeausbildung. Ziel des Forschungsprojekts ist es daher, die Anfänge und die Weiterentwicklung des Berufsbildes der Altenpflegerin bzw. des Altenpflegers in der Bundesrepublik in der Zeit von 1945 bis 1990 nachzuzeichnen. Für die Buchveröffentlichung bzw. das darin enthaltene Unterkapitel ist eine komprimierte Darstellung der Ergebnisse geplant.
Neben den einschlägigen, in den 1960er und 1970er Jahren gegründeten Fachzeitschriften bilden v. a. archivalische Bestände der freien Wohlfahrtspflege die Quellengrundlage.
Untersuchungsgegenstand ist u. a. die Frage nach den politischen und institutionellen Rahmenbedingungen, welche die Entstehung einer spezifischen Altenpflegeausbildung beeinflussten. Obwohl sich bereits nach 1945 nicht nur ein Mangel an qualifizierten Pflegekräften, sondern ebenfalls eine deutliche Zunahme pflegebedürftiger Altersheimbewohner abzeichnete, entstanden die ersten Lehrgänge für Altenpflege erst um 1960. Was sprach gegen und letztlich für die Schaffung eines neuen Berufsbilds? Gefragt wird dabei auch nach den Akteuren und Akteurinnen, zu denen sowohl die Wohlfahrtsverbände und Heimträger als auch die einzelnen, in die praktische Pflegearbeit involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählten.

Das Ergebnis des Projektes findet sich in einem Aufsatz in dem Lehr- und Studienbuch "Entwicklungen in der Krankenpflege und in anderen Gesundheitsberufen nach 1945" erschienen im Mabuse-Verlag 2018.

Die Körpererfahrung jüdischer Soldaten im Deutschen Reich, im Kaiserreich Österreich und in Russland ca. 1815-1918

(Bearbeiter: Oleksiy Salivon)

Gegenstand dieses Dissertationsprojekts sind die körperlichen Erfahrungen der Soldaten jüdischer Herkunft von 1815 bis 1918 in den drei großen Monarchien Europas. Ausgehend von zeitgenössischen Debatten über den „fremden“ Körper des einzelnen Juden und der ganzen jüdischen Bevölkerung Ost- und Zentraleuropas wird nach den körperlichen Erfahrungen der Juden in den jeweiligen Armeen und den Reaktionen der jüdischen und nichtjüdischen Umwelt auf den Militärdienst von Juden gefragt.
Die neuen sozialen und gesellschaftlichen Anforderungen an den Soldatenkörper haben auch neue Erwartungen an den körperlichen Zustand des einzelnen jüdischen Mannes mit sich gebracht. Die Notwendigkeit, freiwillig oder zwangsläufig in der Armee der neuen Art als Soldat zu dienen, hat die Menschen israelitischen Glaubens erstmals mit der neuen Dimension des Militärs in Kontakt gebracht. Die Gesellschaft richtete ihr Augenmerk auf die Juden, so dass diese ihren Körper und ihren Geist an die moderne militärische Umgebung anpassen mussten. Anhand der offiziellen Unterlagen der unterschiedlichen Staatsorgane (z. B. Musterungsakten und Sanitätsberichte) und der Erinnerungen der jüdischen Offiziere und Soldaten (z. B. Briefe und Tagebücher) werden die Körpererfahrungen von jüdischen Soldaten in dieser Zeit rekonstruiert. Dabei werden Themen wie Gesundheit und Krankheit und physische und psychische Erfahrungen jüdischer Soldaten behandelt.
Ziel der Arbeit ist die komplexe Untersuchung der Körpererfahrungen und des Alltagslebens der Juden im Militärdienst im 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Die einzelnen Aufgaben der Arbeit sind: das Alltagsleben im Militär und während des Militärdienstes in Bezug auf Körpererfahrungen zu rekonstruieren; der Entwicklung der Körpererfahrungen jüdischer Soldaten im Laufe des 19. Jahrhunderts nachzuspüren; die Unterschiede und die Ähnlichkeiten dieser Erfahrungen in den drei Ländern zu vergleichen. Drei theoretische Überlegungen zum Körperbegriff sind bezüglich Körpererfahrungen von jüdischen Männern als Soldaten besonders wichtig für meine Arbeit. Ich beschreibe den jüdischen Körper als diskursiven Körper, als dressierten Körper und als fremden Körper, obwohl die anderen Vorstellungen über den menschlichen Körper, wie z. B. der gepeinigte Körper, in meiner Arbeit im Laufe der Untersuchung auch einen Platz einnehmen könnten. Der jüdische Körper galt im Europa des 19. Jahrhunderts oft als ein fremder und undressierter Körper, der sich den Verhaltensnormen der ansässigen christlichen Gesellschaft anpassen musste, um zum Körper eines guten Bürgers zu werden. Militärdienst war die Schule der Disziplin und Reinlichkeit, in der die jungen jüdischen Männer durch die Arbeit an ihrem Körper für das Land und für sich selbst eine körperliche und geistige Transformation erfuhren. Von Anfang an zielten die Regierungen der drei großen Monarchien Europas sowohl auf die Integration der jüdischen Bevölkerung in ihre multiethnischen Staaten als auch auf Veränderungen der jüdischen Einstellung zum loyalen Bürger der neuen industrialisierten und aufgeklärten Gesellschaften. Die Idee, dass die jüdischen Körper die fremden Körper oder im Extremfall die Körper einer anderen Rasse seien, wurde sowohl von der jüdischen als auch von der nichtjüdischen Wissenschaft und Gesellschaft aufgenommen, geteilt oder bestritten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand der Rassendiskurs in Europa parallel zur jüdischen Emanzipation, Akkulturation und den körperlichen Anpassungen an die europäischen bürgerlichen Körpernormen.

Konfliktraum Geburtsbett. Eine patientinnenorientierte Fallstudie zur Wahl des Geburtsbeistandes im vormärzlichen Tirol und Vorarlberg

(Postdoc-Stipendium, Bearbeiterin: Dr. phil. Marina Hilber)

Entgegen der gängigen Forschungsmeinung, die die Geburtshilfe auf dem Land fest in den Händen der Hebammen sah, finden sich in den Sanitätsquellen des vormärzlichen Tirol und Vorarlberg gehäuft Berichte von der Verdrängung der Hebammen durch männliche Geburtshelfer. Die vorliegende Studie untersucht anhand solcher Konfliktfälle den offenbar umkämpften Raum des Geburtsbettes im zeitlichen Fokus auf die 1830er Jahre. Im Sinne einer Geschichte aus Patientinnenperspektive stehen die im Zuge der Untersuchungen durch die Sanitätsbehörden aufgenommenen Protokolle mit den betroffenen Frauen im Zentrum. Die verschriftlichten Vernehmungen erlauben ungeahnt tiefe Einblicke in die individuellen wie kollektiven Handlungsspielräume und entscheidungsleitenden Motive von schwangeren und gebärenden Frauen hinsichtlich der Inanspruchnahme geburtshilflicher Leistungen. Die Studie hat das Potential, Fälle, die bislang meist nur im Sinne zweidimensionaler Professionalisierungskonflikte gedeutet wurden, um die Perspektive der Patientinnen zu bereichern und so eine multidimensionale Geschichte der Geburtshilfe auf dem Land zu schreiben.
Das Projekt befindet sich derzeit in der Phase intensiver Quellenrecherche in den Sanitätsbeständen des Tiroler, Südtiroler sowie Vorarlberger Landesarchives. Auf der Basis der erhobenen Konfliktfälle werden die Forschungsfragen in weiterer Folge diskursanalytisch und in regional-vergleichender Weise bearbeitet. Die Ergebnisse sollen schließlich in Form eines Aufsatzes für die Zeitschrift MedGG aufbereitet werden.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Ein Aufsatz ist im Jahrbuch Medizin, Gesellschaft und Geschichte (36) erschienen.

Die Entwicklung der Medizintechnik zur medizinischen Selbsthilfe bei Diabetes mellitus

(Bearbeiter: Aaron Pfaff, M.A.)

Ziel des Ende 2014 begonnenen Dissertationsprojekts ist es, die Entwicklung der diagnostischen und therapeutischen Medizintechnik zur Selbsthilfe im Bereich der Volkskrankheit Diabetes mellitus für den Zeitraum 1950 bis 1990 in BRD und DDR zu analysieren.
Während Betroffene Anfang der 1950 er Jahre nur sehr begrenzt Einfluss auf ihre Therapie nehmen konn¬ten, änderte sich dies in den vier Jahrzehnten des Untersuchungszeitraumes grundlegend.
Im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen die Verlagerung von Kompetenzen und Verantwortung von der Arzt- zur Patientenseite sowie die damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderungen im Arzt-Patienten-Verhältnis.
Eine tragende Rolle spielen dabei die komplexen Aushandlungsprozesse zwischen den Akteuren (Fach- und Laienverbände, Pharma- und Medizintechnikunternehmen, staatliche Institutionen). So entsteht von dem Entwicklungsbeginn zur Lösung eines Therapiebedürfnisses bis zur möglichen Einführung eines Produkts bzw. Verfahrens eine ganze Reihe von sozialen politischen und ökonomischen Fragen, welche verhandelt werden müssen.
Am Ende dieser Prozesse stehen leichter handhabbare Geräte sowie zunehmend stärker individualisierte Therapieoptionen, welche dem Patienten eine aktivere, aber auch eigenverantwortlichere Rolle bei der Behandlung seiner Krankheit ermöglichen.
Die Geschichte der Medizintechnik für Diabetesdiagnose und -therapie wird dabei als eine Koevolution von Technik und Krankheit konzeptualisiert. Dies ermöglicht einen differenzierteren Blick auf die Folgen technologischer Entwicklung für Patient und Krankheit und deren Wahrnehmung.
Das Quellenkorpus besteht überwiegend aus dem Material der beteiligten Akteure. Dieses setzt sich aus zahlreichen Fach- und Patientenzeitschriften, der medizinischen Fach- und Ratgeberliteratur sowie „grauer Literatur“, beispielsweise Bedienungsanleitungen, Marketingunterlagen und Schulungsmaterial, zusammen.
Besondere Bedeutung für die Fallbeispiele kommen den Unterlagen der Forschungs-, Entwicklungs- und Marketingabteilungen der beteiligten Unternehmen zu. So konnten beispielsweise Akten des Bereichs Medizintechnik der Unternehmen Bayer, Siemens und Merck eingesehen werden.
Ergänzend werden die Bestände der deutschen Diabeteszentren in Düsseldorf und Karlsburg sowie Unterlagen der Abteilung DDR des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde herangezogen.

Gesundheit und Krankheit in der Korrespondenz Hans Fuggers (1531 – 1598)

Im Zentrum des Promotionsvorhabens (Bearbeiterin Anne Phieler) steht die Person Hans Fugger aus der bekannten Handelsfamilie der Fugger. Als zweitgeborener Sohn übernahm er zwar nicht das operative Geschäft der Firma, diente ihr jedoch mit seiner Kontaktpflege. Rund 4.700 Briefe Hans Fuggers aus dem Zeitraum 1566 bis 1594 sind heute vor allem in Kopialbüchern im Familienarchiv in Dillingen erhalten; ein seltener Quellenkorpus für das 16. Jahrhundert. In seinen thematisch sehr umfangreichen Briefen, finden sich auch Spuren seines gesundheits- und krankheitsbezogenen Handelns. Ergänzend sollen die sogenannten ‚Fugger-Zeitungen‘, die überwiegend im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien lagern, auf eben diesen Aspekt geprüft werden. Dieser Quellenbestand bietet sich an, Fuggers Denken und Handeln über einen längeren Lebenszeitraum nachzuvollziehen.
Als Mitglied einer europaweit agierenden Kaufmannsfamilie standen Hans Fugger sowohl das Kapital als auch die Infrastruktur zur Verfügung, sich des gesamten medizinischen Marktes zu bedienen. Dazu stellt sich die Frage, welche Einstellungen er als medizinischer Laie zu den Themenkomplexen Krankheit und Gesundheit in seinen Briefen vermittelte. So bestellte er verschiedenste Heilmittel, besprach Rezepte und Therapien, tauschte sich über seinen und den Gesundheitszustand anderer aus. Dieser Austausch unterlag vermutlich nicht nur gesellschaftlich und kulturell geprägten Mustern. Auch die Öffentlichkeit des Mediums Brief soll deshalb in der Untersuchung berücksichtigt werden. Anders als bei Patientenbriefen stammten die Adressaten Fuggers aus unterschiedlichsten Schichten und Berufen, was sich auf die Krankheitskommunikation auswirkte. Aus den genannten Quellen erfahren wir etwas über die Sicht von unten, für die Roy Porter bereits in den 1980er Jahren plädierte und die inzwischen die Medizingeschichte erheblich erweiterte.

Machbarkeitsstudie zur Geschichte der Weiterbildung zur Diabetesberaterin und Diabetesassistentin in Ost- und Westdeutschland von ca. 1980 bis 2010

In dieser Machbarkeitsstudie (Bearbeiterin: Anja Waller) wurde im Rahmen einer Quellenrecherche eruiert, inwiefern und in welchem Rahmen eine Aufarbeitung der Geschichte der Weiterbildung zur Diabetesberaterin und Diabetesassistentin von ca. 1980 bis 2010 aus medizin- und pflegehistorischer Perspektive durchführbar ist. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der quantitativen und qualitativen Quellenlage, der Recherche von potentiellen Zeitzeugen sowie der Formulierung möglicher Forschungsfragen zum Themenkomplex der Weiterbildung zur Diabetesberaterin und Diabetesassistentin.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen.

Gesundheit und Krankheit jüdischer Migrantinnen und Migranten aus Osteuropa in Deutschland

Das Promotionsvorhaben (Bearbeiterin: Aline Braun) soll einen Beitrag leisten zum Verständnis der Lebenswirklichkeit von ausgewanderten Jüdinnen und Juden aus Osteuropa in der Zeit der Weimarer Republik in Berlin. Seit dem Ende des 19. Jahrhundert verstärkte sich die jüdische Migrationsbewegung aus Osteuropa in deutschsprachige westliche Gebiete. Die Gründe zur Flucht aus Osteuropa waren neben der ökonomisch oft hoffnungslosen Lage, politischer Unterdrückung und Ausgrenzung sowie religiöser Verfolgung auch die immer wieder auftretenden Pogrome. Wie die Wohnsituationen und der Alltag dieser eingewanderten Jüdinnen und Juden im Einzelnen aussah und mit welchen Veränderungen sie konfrontiert wurden soll Teil des vorliegenden Projektes sein, das sich in seiner Zielsetzung der Analyse der Praktiken und Wahrnehmungen von Gesundheit und Krankheit jüdischer Migrantinnen und Migranten aus Osteuropa, im Speziellen aus Russland, in Berlin zu Zeiten der Weimarer Republik widmet. Folgende weitere Themenkomplexe werden erkenntnisleitend sein:

  • Migrationserfahrung und Gesundheit
  • Praktiken, Erfahrung und Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit
  • Jüdische Hilfsmaßnahmen

Erfahrungen und Umgang mit dem deutschen Gesundheitssystem
Insbesondere sollen Erfahrungsberichte zu Alltag, Krankheit, Pflege und In-Anspruchnahme von Hilfsmaßnahmen ausgewertet werden. Dies soll auf Grundlage von Recherchetätigkeiten in verschiedenen Archiven und der Analyse der schriftlichen Quellen von Briefen, Tagebüchern und Autobiographien, aber auch anhand von institutionellen Quellen, sowie Artikeln in Zeitungen/Zeitschriften aus der Zeit zwischen 1918 und den 1930er Jahren gewährleistet werden. Wichtige Quellen für das vorliegende Promotionsprojekt befinden sich im Archiv der Stiftung „Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“, im Landesarchiv Berlin, in den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem, im Archiv des YIVO Institute for Jewish Research in New York City, im Rossiskij gosudarstvennyi voenny archiv in Moskau (RGVA), im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam (IISG) und eventuell im jüdischen historischen Institut in Warschau.

Gesundheit und Migration in Selbstzeugnissen deutscher Auswanderer 1830-1930

Das Ziel dieses Habilitationsprojekts (Bearbeiter: Dr. phil. Jens Gründler) ist es, Wahrnehmungen von Gesundheit und Krankheit sowie „medikale Praktiken“ deutscher Auswandererinnen und Auswanderer in die USA zu analysieren. Seit dem 18. Jahrhundert wanderten Menschen aus dem deutschsprachigen Raum nach Nordamerika aus. Aber erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich daraus eine Massenbewegung. Die Gründe für die Migrationen waren vielfältig und reichten von religiöser Verfolgung bis hin zum Streben nach Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Unabhängig von den Motiven der Auswanderung mussten sich die Migranten gerade auch im Bereich von Gesundheit und Krankheit einer Vielzahl von Herausforderungen stellen. Vielfach mussten die traditionell erlernten Praktiken den neuen Umständen angepasst werden und man war gezwungen, sich im medizinischen System der USA zurechtzufinden. Gleichzeitig wurden aber die althergebrachten Formen der Gesundheitsfürsorge und Krankheitsvorsorge bewahrt und weitergegeben. Diesen Kontinuitäten und Veränderungsprozessen in ihrem sozio-kulturellen Kontext in den Herkunfts- und Aufnahmeregionen sollen im Forschungsprojekt besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Als Quellen dienen Briefe und Briefserien, autobiographische Berichte und Tagebücher. Mit ihrer Hilfe sollen der alltägliche Umgang mit und die Thematisierung von Gesundheit und Krankheit durch die Betroffenen sowie deren ‚Anpassungsprozesse‘ rekonstruiert und in ihrem medizinischen, sozialen und kulturellen Kontext verortet und analysiert werden.

Gesichtsrekonstruktionen während des Ersten Weltkrieges in Zentraleuropa. Handlungsspielräume und Lebensentwürfe von Kieferschussverletzten

Untersucht werden in diesem Dissertationsprojekt die Handlungsspielräume und Lebensentwürfe von kieferverletzten Soldaten des Ersten Weltkrieges in Zentraleuropa (Bearbeiterin: Melanie Ruff, M.A.). In Folge der Kampfhandlungen kam es durch den Einsatz neuer Geschosse zu spezifischen Gesichtsverletzungen, auf welche die militärische Führung und das Sanitätswesen nicht vorbereitet waren. Es stellte sich heraus, dass neben den Schmerzen, den Beschwerden beim Kauen und dem Unvermögen zu Sprechen, die Entstellungen im Gesicht besonders demoralisierend und auch oftmals traumatisierend auf die Soldaten wirkten.
Im ersten Teil der Arbeit stehen die Lebensentwürfe der betroffenen Personen im Vordergrund. Anhand eines heterogenen Quellenkorpus (Patienten-, Renten- und Verwaltungsakten, Selbstzeugnisse, Nachlässe von Ärzten, medizinische Fachliteratur und Fotografien) können diese aus sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten rekonstruiert werden. Die Handlungsräume dieser Kriegsverletzten setzen sich zusammen aus dem medizinischem Wissen der Zeit, den Intentionen der Akteure, dem Diskurs über die entstellten Gesichter, dem Alltag in den Lazaretten, den Selbstbildern der Patienten während der Behandlung sowie den neu zu erlenenden Körperpraktiken (Sprechen, Mimik, Essen und Körperpflege) aufgrund der Verletzung im Gesicht.
Von den konkreten Umgangsweisen Betroffener und den daraus folgenden Lebensentwürfen handelt der zweite Abschnitt. Es zeigte sich, dass die Gesichtsverletzten auf sehr individuelle Weise lernten mit den ihnen zugefügten Verletzungen am Körper und der daraus resultierenden neuen Lebenssituation umzugehen. Aus diesem Umstand ergab sich die leitende Fragestellung: Kann das Bild des unter der Entstellung leidenden Gesichtsverletzten aufrechterhalten werden oder zeigen Selbstzeugnisse eine andere Perspektive auf?

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Psychische Erkrankung von Männern in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1990

Gegenstand des Promotionsprojekts ist die Geschichte von Männern und Jungen mit psychischen Erkrankungen aus der Perspektive der Männlichkeitenforschung (Bearbeiter: Christoph Schwamm M. A.). Phänomene wie problematisches Gesundheits- und Krankheitsverhalten, psychische Überforderung im Beruf und in der Familie, „Selbstmedikation“ mit Alkohol, Gewalttätigkeit oder Unterdiagnostizierung der Depression sind einige der Themen. Insbesondere geht es um die Frage nach den gesellschaftlichen Kontexten und Bedingungen des Entstehens und der Bewältigung von Erkrankungen. Die Analyse erfolgt auf drei Ebenen:

1. Sozialstruktur: Wie wirkten sich Faktoren wie Alter, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Lebenssituation der Patienten auf die Erkrankung aus?
2. Männliches Gesundheits- und Krankheitsverhalten: Unter welchen Umständen kooperierten Männer bei der Behandlung, wann verweigerten sie sich? Welche Bewältigungsstrategien entwickelten sie im Umgang mit der Erkrankung?
3. Männliche Identitäten: Welche Rolle spielten Konzepte von Männlichkeit im Verhältnis zur Erkrankung und in den Bewältigungsstrategien der Patienten?

In diesen gesundheitsgeschichtlichen Fragen spiegelt sich außerdem die allgemeine Geschichte der letzten Jahrzehnte wider: Krieg und Vertreibung, Nachkriegszeit und sozialer Wandel bilden den historischen Kontext, in den die Erkrankungen eingebettet sind. Kernbestand der Quellen sind Krankenakten aus psychiatrischen und psychotherapeutischen Einrichtungen. In diesen Akten finden sich einerseits Selbstzeugnisse der Patienten wie Briefe, Lebensläufe und Zeichnungen, andererseits medizinische Dokumente wie die Krankengeschichte, Pflegeberichte und psychiatrische Gutachten. Der Kontext für die Analyse dieser Krankenakten wird durch weitere Quellen wie zeitgenössische Berichte aus dem Alltag sowie psychiatrische und psychotherapeutische Publikationen erschlossen.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte (68) erschienen.

Prävention und Gesundheitsförderung in der Bundesrepublik Deutschland aus geschlechterspezifischer Perspektive (1949-2010)

In diesem Promotionsprojekt (Bearbeiter: Pierre Pfütsch) werden sowohl die Angebote zu Prävention und Gesundheitsförderung als auch die Nachfrage nach diesen geschlechterspezifisch untersucht. Dabei soll zunächst geklärt werden, welche geschlechterspezifische Ausrichtung die Präventions- und Gesundheitsförderungsangebote im Untersuchungszeitraum aufwiesen. Ferner sollen die den Angeboten zugrunde liegenden Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit herausgearbeitet und auf ihre Verknüpfung mit dem Gesundheitshandeln untersucht werden. Aufgrund der historisch bedingten dezentralen Struktur der Akteure auf dem Präventionsfeld in der BRD erfolgt die Analyse auf mehreren Ebenen. Auf der Bundesebene werden v.a. die Aktenbestände und Endverbraucherveröffentlichungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung untersucht. Auf der Länder- und kommunalen Ebene werden exemplarisch die Präventionsbemühungen in der Freien und Hansestadt Hamburg und in Schleswig-Holstein betrachtet. Das Quellenkorpus bilden hier Vorlesungsverzeichnisse einer Volkshochschule und Aktenbestände der kommunalen Gesundheitsbehörden. Die Inhalte der Apotheken-Umschau und einer Public-Health Zeitschrift bilden die Quellengrundlage für die individuelle Ebene.
Da aber letztlich für die Wirksamkeit von Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur die Angebote, sondern vielmehr das Verhältnis des einzelnen Menschen zu diesen von Bedeutung ist, ist es ein weiteres Ziel dieses Projektes, das Nachfrageverhalten von Männern und Frauen nach diesen Angeboten sowohl quantitativ als auch qualitativ näher zu betrachten. Dabei sollen die Argumentationen der Bürger für bzw. gegen die Nutzung von Präventionsangeboten geschlechterdifferenziert aufgearbeitet werden. Als Quellengrundlage dienen hierfür Eingaben, Anfragen und Beschwerden von Bürgern an unterschiedliche Präventionsträger.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Selbsttötungen von Seeleuten, 1890 – ca. 1950


Dr. Nicole Schweig
Die Selbsttötungsrate unter Seeleuten stieg auf Dampfschiffen deutscher Reedereien mit Beginn der 1890er Jahre stark an. Hiervon waren vor allem die unteren Mannschaftsgrade ab Bord betroffen. Die Kommission für Dampfschifffahrt in Berlin setzte daraufhin 1898 einen Untersuchungsausschuss ein, der sowohl die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord dieser Schiffe als auch die Suizide überprüfte.

Die Akten des Untersuchungsausschusses liegen im Staatsarchiv Hamburg und werden unter anderem im Rahmen dieses Projektes ausgewertet. Dabei stehen die unterschiedlichen Interessen der jeweiligen Protagonisten im Fokus: Welche Verantwortung trugen die Reedereien an solchen Taten und welche finanziellen Verpflichtungen ergaben sich daraus? Welche Möglichkeiten hatten die Angehörigen der toten Seeleute, Entschädigungsleistungen und Rentenansprüche durchzusetzen? Mit welchen Argumenten versuchten die Berufsgenossenschaften und Versicherungen, die Übernahme solcher Ansprüche zu verhindern?

Des Weiteren werden die Strukturen und Netzwerke, in die die Seeleute eingebunden waren, in den Blick genommen. Wurden im Vorfeld einer Tat Suizidabsichten geäußert? Und wenn ja, an wen richteten sich diese Äußerungen? Wendeten sich suizidgefährdete Seeleute eher an die Familie zu Hause oder an Arbeitskollegen an Bord? Inwieweit konnte das familiäre Netzwerk über die häufig großen Entfernungen überhaupt Unterstützung gewähren? Gab es an Bord Personen, die fehlende familiäre Netzwerke ersetzen konnten? Um diese Fragen zu beantworten, werden die im Landesarchiv Schleswig lagernden Untersuchungsakten zu Selbsttötungen von Seeleuten des Seeamts Flensburg und Hamburg herangezogen.

Im Landesarchiv Berlin befindet sich zudem die Sammlung eines Kriminalbeamten aus Berlin, die zahlreiche Polizeiakten über Selbsttötungen aus dem Zeitraum von Anfang der 1920er Jahre bis 1945 enthält. Der Vergleich der Suizide von Arbeitern und Seeleuten soll eventuelle spezifische Merkmale der an Bord eines Schiffes ausgeführten Selbsttötungen sichtbar machen.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Prävention und Gesundheitsförderung in der DDR (1949-1990). Politik und Praxis


Dr. phil. Jenny Linek
Das Hauptaugenmerk des DDR-Gesundheitswesens richtete sich auf den vorbeugenden Gesundheitsschutz und die Verhütung von Krankheiten. Der Schutz der Gesundheit hatte Verfassungsrang, gleichzeitig wurde eine ‚Pflicht zur Gesunderhaltung’ postuliert. Das Promotionsprojekt widmet sich der Fragestellung, ob sich der hohe Stellenwert der Prophylaxe im Lebensalltag der Bürger erkennbar niedergeschlagen hat. Ziel der Arbeit ist es, herauszufinden, wie sich die gesundheitspolitische Propaganda auf das Verhalten der Menschen ausgewirkt hat und ob es der DDR-Führung gelungen ist, die Bürger zu gesundheitsbewusstem Handeln zu bewegen. Diese und andere Fragen sollen anhand von Eingaben und verschiedenen Ego-Dokumenten, aber auch durch die Auswertung medizinisch-soziologischer Studien zum Gesundheitsverhalten der DDR-Bevölkerung sowie von Berichten und Analysen der staatlichen Gesundheitsbehörden beantwortet werden. Inwieweit gesundheitsbewusstes Verhalten geschlechterspezifisch bestimmt war, ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Geschlechtsspezifischer Arzneimittelkonsum ca. 1800-1950


Dr. Annika Hoffmann
Kernfrage des Projekts ist, wie sich der Arzneimittelkonsum von Männern und Frauen im Zeitraum 1800 bis 1950 entwickelte. Informationen zum geschlechterspezifischen Arzneimittelkonsum lassen sich aus Rezeptkopierbüchern gewinnen. Dabei handelt es sich um Register, in die Apotheker täglich eintrugen, welche Rezepturen (also Arzneimittelzubereitungen) sie für wen angefertigt haben.

Bislang wurden die beiden längsten Reihen von Rezeptkopierbüchern ausgewertet, die für den deutschsprachigen Raum bekannt sind, und die beide aus Norddeutschland stammen. Die Stichproben umfassen zum einen 14.000 ausgewertete Rezepte der königlich privilegierten Apotheke Kellinghusen aus den Jahren 1848-1918 und zum anderen 26.000 Arzneimittelanfertigungen der Suwe’schen Apotheke in Lübeck aus dem Zeitraum 1850-1900.

Neben zentralen Aussagen zum Wandel des geschlechterspezifischen Arzneimittelkonsums können wir den Apothekenregistern Informationen zu zahlreichen anderen sozialgeschichtlichen Fragen der Medizin und Pharmazie entnehmen. In einem weiteren Schwerpunkt des Projekts wird beispielsweise untersucht, ob es Unterschiede in der Art der an Frauen und Männer abgegebenen Arzneimittel gab. Hierzu werden in die Rezeptkopierbücher eingetragenen Rezepturen ausgewertet.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Arzneimittelkonsum und Geschlecht.Eine historische Analyse zum 19. und 20. Jahrhundert

Von der „Knochenmühle“ in die „Rentenquetsche“ – Unfallopfer in Kaiserreich und Weimarer Republik zwischen Prävention, Unfallerfahrung und Folgenbewältigung


Sebastian Knoll-Jung, M. A.

Für die Arbeiter des deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik gingen mit der Industrialisierung starke gesundheitliche Belastungen einher, die den Staat vor entscheidende sozialpolitische Herausforderungen stellten.

Die Unfallversicherung von 1886 war eine frühe Antwort hierauf. Während deren Gesetzgebungsprozess historisch gut erforscht ist, fehlt es fast gänzlich an einer dezidierten Untersuchung der Betroffenenperspektive. Die Sicht der Unfallopfer ist auf Basis der Auswertung von Ego-Dokumenten, vor allem Arbeiterautobiographien, in der Arbeiterpresse veröffentlichten Berichterstattungen aus den Betrieben sowie von Briefen und Aussagen aus den Akten der Unfallversicherung, Gegenstand dieses Dissertationsprojekts.

Das komplexe Themengebiet wird in drei übergeordnete Kapitel unterteilt, die Prävention, genauer gesagt die Unfallverhütung, das Unfallereignis, worin die Ursachen, Unfallarten und die individuellen Unfallerfahrungen untersucht werden, und zuletzt die Folgenbewältigung, die sowohl gesundheitliche Rehabilitation als auch die soziale Problematik und vor allem die finanzielle Entschädigung behandelt. In diesem Rahmen werden Erfahrungen, Wahrnehmungen und Handlungsspielräume der Unfallopfer sowie das gesellschaftspolitische Konfliktpotential erforscht.

Männer als Patienten: Krankheitsverhalten von Männern im ländlichen Raum in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Praxisjournale des Südtiroler Landarztes Franz von Ottenthal


Dr. phil. Alois Unterkircher

Untersuchungsgegenstand des von der Robert Bosch Stiftung geförderten Promotionsvorhabens sind Männer als Patienten einer ländlichen Arztpraxis im Südtiroler Tauferer Ahrntal (Bezirk Bruneck) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In den Blick genommen werden Aspekte männlichen Krankheitsverhaltens, in erster Linie die geschlechtsspezifische Inanspruchnahme einer Allgemeinpraxis am Land. Hauptquellen zur Bearbeitung der Forschungsfragen sind die nahezu vollständig überlieferten Praxisjournale („Historiae Morborum“) des von 1847 bis 1899 tätigen Arztes Franz v. Ottenthal. Die im Südtiroler Landesarchiv als Depositum aufbewahrten 244 Hefte dieses Allgemeinarztes erlauben es, sich mikrohistorisch unter geschlechterspezifischen Fragestellungen dem „Alltagsproblem Krankheit“ am Beispiel eines Südtiroler Gebirgstales zu nähern.

Das Erkenntnisinteresse wird von der Frage nach den Konsultationsgründen männlicher und weiblicher Patienten auf der einen und nach der geschlechterspezifischen Diagnostik durch den Arzt auf der anderen Seite geleitet und orientiert sich an der Arbeitshypothese, dass zeitgenössische Vorstellungen von hegemonialen bzw. marginalisierten Männlichkeiten das Krankheitsverhalten der männlichen Bevölkerung in dieser Region (mit)bestimmt haben. Dabei wird, ausgehend von den in der neueren Geschlechterforschung geführten Debatten um Differenz, nicht von „den“ Männern als Gesamtheit gesprochen, sondern von mehreren, die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlecht mitbestimmenden Kategorien ausgegangen.

Die spezielle Struktur der Ottenthalschen Praxisjournale als Quellengrundlage für die in der Dissertation behandelten Fragestellungen legt nahe, neben dem Geschlecht dabei hauptsächlich nach dem Alter (im Sinne von spezifischen Lebensphasen) und dem Zivilstand zu differenzieren.

Die immense Datenmenge der über 50 Jahre hindurch geführten Aufzeichnungen Ottenthals macht zudem die Eingrenzung auf einzelne Zeitabschnitte erforderlich, nicht zuletzt um im direkten Vergleich Kontinuitäten und Brüche im männlichen Inanspruchnahmeverhalten sichtbar werden zu lassen. Für diese vergleichende Perspektive wurden zwei Jahrzehnte ausgewählt: die Jahre von 1860 bis 1869 für die „Mittelphase“ und jene von 1890 bis 1899 für die „Endphase“ der Arztpraxis.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Jungen und Männer als Patienten bei einem Südtiroler Landarzt (1860–1900)

Der Weg zum „Quantified Self“. Die historische Entwicklung präventiver Praktiken körperlicher Selbstmessung und -kontrolle

Aktuell haben digitale Techniken der Messung körperlicher Vorgänge über Smartphones oder so genannte „Activity Tracker“ einen Schub auf dem Weg zum so genannten „Quantified Self“, der umfassenden Selbstvermessung des eigenen Körpers, ausgelöst, deren Motivation in einem Zwischenbereich von Gesundheit, Fitness und Ästhetik liegt (Bearbeiter: Eberhard Wolff).

Individualprävention, verstanden als Kontrolle des eigenen Verhaltens im Sinne eines „Präventiven Selbst“, ist traditionell eng verknüpft mit der genauen Beobachtung des eigenen Körpers. Die Selbstbeobachtung körperlicher Zustände und Vorgänge über quantifizierbare Werte wurde seit dem späten 19. Jahrhunderts ein immer größerer Teil gesundheitsbezogener Verhaltensweisen und damit auch präventiver Praktiken. Im Verlauf des 20. Jahrhundert etablierten sich zunehmend Praktiken körperlicher Selbstmessung, die auch gesundheitlich und speziell präventiv motiviert waren, vom Fiebermessen über die Gewichtsbestimmung, die Puls- und Blutdruckmessung bis zu heutigen umfassenden Vermessungssystemen.

Konkret erfolgt die Untersuchung doppelgleisig. Auf der einen Seite ist vorgesehen, die Sekundärliteratur über die Geschichte einzelner Selbstmess-Praktiken zu analysieren. Auf der anderen Seite zielt eine historisch-empirische Studie auf die Propagierung der Selbstmessung. Hier bietet sich als Quelle die medizinische Ratgeberliteratur an, die ihre Schwerpunkte gewöhnlich nicht nur in Verhaltensratschlägen zum Krankheitsfall, sondern auch zur allgemeinen gesundheitsbezogenen Lebensweise hat. Es soll an ausgewählten Beispielen geklärt werden, wann in der deutschsprachigen gesundheitlichen Ratgeberliteratur vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart welche Selbstmess-Praktiken eine Erwähnung finden und auf welche Art und mit welcher Begründung sie empfohlen werden.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Ein Aufsatz ist im Jahrbuch Medizin, Gesellschaft und Geschichte (36) erschienen.

Versorgung über 50-jähriger „Displaced Persons“/„heimatloser Ausländer“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland (1945 bis ca. 1975)

Dr. Nina Grabe
Versorgung über 50-jähriger „Displaced Persons“/„heimatloser Ausländer“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland (1945 bis ca. 1975)
Das Ziel des Forschungsprojekts (Post-doc-Stipendium) ist es, die stationäre Versorgung betreuungsbedürftiger „Displaced Persons“ (DPs, ab 1951 als „heimatlose Ausländer“ bezeichnet) darzustellen, die aufgrund drohender Verfolgung in der Sowjetunion nach Kriegsende in Westdeutschland verblieben. Während der Großteil der DPs in seine Heimatländer zurückkehrte oder in Drittländer auswandern konnte, wurden die Besatzungsmächte und die deutschen Behörden mit zahlreichen kranken und alten Menschen konfrontiert, die einer dauerhaften stationären Versorgung bedurften. Aus diesem Grund erfolgte die Einrichtung spezieller DP-Altersheime. Diese wurden bis 1952 von der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) und anschließend – d. h. nach der Übergabe der DPs in deutsche Verwaltung – von der Inneren Mission und dem Caritasverband betreut.
Im Rahmen des Forschungsprojekts konnten bereits archivalische Quellen und zeitgenössische Veröffentlichungen eingesehen werden. Anhand einiger Quellen ist es möglich, auch das Schicksal einzelner Heimbewohner näher zu beleuchten. Unter anderem befinden sich im Archiv der „von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel“ viele Akten von Bewohnern des Altersheims der „Beckhofsiedlung für heimatlose Ausländer“. Im Fokus des Forschungsinteresses steht die soziale, pflegerische und seelsorgerische Betreuung der vorwiegend aus Osteuropa stammenden Heimbewohner, die ihre letzten Lebensjahre in einem fremden Land und zumeist weit weg von ihren Angehörigen verbringen mussten. Dabei stellen sich z. B. folgende Fragen: Wie gestaltete sich der vom Zusammenleben verschiedener Nationalitäten geprägte Heimalltag? Existierten Kontakte zur oftmals feindlich gesinnten deutschen Umwelt? Zudem soll erörtert werden, inwieweit es sich bei den in Deutschland verbleibenden DPs/“heimatlosen Ausländern“ um ehemalige Zwangsarbeiter oder aber um Kollaborateure und antikommunistisch eingestellte Flüchtlinge handelte.

Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen (MedGG-Beiheft 73).
 
 
Geschichte der Kinderkrankenpflege nach 1945

Dr. Sylvelyn Hähner-Rombach (♱)
Geschichte der Kinderkrankenpflege nach 1945
Da zur Geschichte der Kinderkrankenpflege mit Ausnahme der sogenannten Kinderfachabteilungen in der NS-Zeit insgesamt sehr wenige, für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch keine Forschungsarbeiten vorliegen, soll mit dem im Herbst 2017 begonnenen Projekt versucht werden, einen Beitrag zur Schließung dieser Lücke zu leisten. Zum einen sollen Zäsuren, wie beispielsweise die Mitaufnahme von Müttern bzw. Eltern ab den 1970er Jahren oder der Eintritt männlicher Pfleger in das Feld, zum anderen Neuerungen, wie die Entwicklung der mobilen Kinderkrankenpflege, zum Dritten aber spezifische psychische Belastungen der Kinderkrankenpflege untersucht werden. Als Material dienen neben archivalischen und gedruckten Quellen auch Interviews mit ehemaligen Kinderkrankenschwestern und -pflegern, aber auch mit Müttern bzw. Eltern. Diese leitfadengestützten Interviews werden im Laufe des Jahres 2018 geführt. Zur Gewinnung von Zeitzeuginnen wurden in Zusammenarbeit mit dem „treffpunkt 50plus“ und dem Stadtarchiv Stuttgart drei Veranstaltungen durchgeführt, die eine Redakteurin der „Stuttgarter Zeitung“ begleitete. Erste Ergebnisse eines Teilprojekts wurden auf der Tagung „Marketplace, Power, Prestige: The Healthcare Professions’ Struggle for Recognition. Developments, Conflicts, and Areas of Tension among Healthcare Professions in the Twentieth Century“ vorgestellt.

Geschichte der Krankenpflege und anderer nichtärztlicher Gesundheitsberufe nach 1945
Dr. Sylvelyn Hähner-Rombach (♱) und Dr. Pierre Pfütsch
Geschichte der Krankenpflege und anderer nichtärztlicher Gesundheitsberufe nach 1945
Das im November 2016 mit dem dazu einberufenen Arbeitskreis diskutierte Buchprojekt konnte im Berichtsjahr abgeschlossen werden. Die geplante Publikation wird neben einer Einführung in den historischen Rahmen in zwei Teilen insgesamt 13 Beiträge von elf Autorinnen und Autoren umfassen. Der erste Teil ist der Geschichte der Krankenpflege nach 1945 gewidmet und behandelt die Themen Männer in der Krankenpflege, Psychiatriepflege, Lebens- und Arbeitsalltag evangelischer Krankenpflege, Gewerkschaftspolitik und Krankenpflege, Aus- und Weiterbildung in der Pflege, die quantitative Entwicklung des Pflegepersonals und Objekte als Quellen in der pflegehistorischen Forschung. Der zweite Teil umfasst die Entstehung bzw. Entwicklung des Berufsbildes anderer nichtärztlicher Berufe, wie der Altenpflegerin bzw. des Altenpflegers, der häuslichen Altenpflege, Hebammen, Rettungssanitäter und Diabetes-Beraterinnen. Das Lehrbuch ist im Frühjahr 2018 im Mabuse-Verlag erschienen.

Männer als Pflegekräfte in Deutschland ca. 1880–2010

Postdoc, Bearbeiter: Christoph Schwamm
Männer als Pflegekräfte in Deutschland ca. 1880–2010
In Krankenpflege, der Fachzeitschrift des Deutschen Berufsverbandes für Krankenpflege, erschienen bereits 1985 zwei Beiträge, die auch repräsentativ für die gegenwärtige Deutung von pflegenden Männern sind. Eine Autorin kritisierte unter Bezugnahme auf die Überrepräsentation von Männern in Schlüsselpositionen, „in welch kurzer Zeit einer der wenigen qualifizierten Frauenberufe zum ‚typischen Männer-beruf‘ avanciert“ sei. In einer Replik wurde entgegnet, Männer hätten schon immer gepflegt, seien bislang lediglich marginalisiert worden und hätten nun alles Recht auf beruflichen Erfolg.
Das vorliegende Forschungsprojekt soll die Akteursgruppe Männer in der Pflege  geschichtswissenschaftlich untersuchen, um Deutungen wie den oben geschilderten historische Tiefenschärfe zu verleihen. Dazu wird nach der Interaktion von geschlechtsbezogenen Machtdynamiken mit solchen der sozialen Herkunft gefragt. Hierzu wird es zunächst notwendig sein, die Anzahl der männlichen Pfleger zu ermitteln, sowohl absolut als auch relativ zu den Krankenschwestern. Weiter soll analysiert werden, an welchen Orten sie eingesetzt waren und welche Tätigkeiten sie dort ausübten. In einem späteren Schritt soll untersucht werden, wie die Pfleger im Alltag mit den anderen relevanten Akteursgruppen – Krankenschwestern, Patienten und Ärzten – interagierten.
Als Quellen dienen die Mitgliederzeitschriften der großen Gewerkschaftsgruppierungen, zeitgenössische Monographien und Presseartikel sowie offizielle Statistiken. Für die alltagshistorische Untersuchung sind verschiedene Ego-Dokumente und die Befragung von Zeitzeugen vorgesehen.

Offene Altenhilfe in Frankfurt am Main 1945-1982/83

Bearbeiterin: Dr. Kristina Matron

Offene Altenhilfe in Frankfurt am Main 1945-1982/83
Im Rahmen der Studie werden sowohl die Veränderungen in der Struktur pflegerischer Angebote als auch hauswirtschaftliche, kulturelle, sportliche, freizeitorientierte und gesellschaftspolitische Angebote untersucht. Berücksichtigt werden die planerische Ebene, die politischen Diskurse und die konkrete Umsetzung auf kommunaler Ebene. Im Einzelnen werden die Bereiche ambulante Pflege, Altenwohnen, Mahlzeitendienste, kulturelle Angebote, Erholungsaufenthalte, Altentagesstätten und Tagespflege im Zentrum stehen.
Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen.

Die stationäre Versorgung alter Menschen in der deutschen Nachkriegszeit (1945-1975) im Raum Hannover / südliches Niedersachsen

Dr. phil. Nina Grabe
Dissertationsprojekt: Die stationäre Versorgung alter Menschen in der deutschen Nachkriegszeit (1945-1975) im Raum Hannover / südliches Niedersachsen
Das Dissertationsprojekt beinhaltet die Situation der stationären Altenpflege, d. h. der pflegerischen, medizinischen und sozialen Versorgung alter Menschen im südlichen Niedersachsen in der Zeit von 1945 bis ca. 1975. Anhand unterschiedlicher Quellen werden sowohl das Milieu der Einrichtungen als auch der Heimalltag sowie die Arbeitsbedingungen der, überwiegend konfessionellen, Pflegekräfte untersucht. Berücksichtigung findet dabei auch die Professionalisierung der Altenpflege.
Das Projekt ist mittlerweile abgeschlossen. Die Ergebnisse sind in der Beiheft-Reihe von Medizin, Gesellschaft und Geschichte erschienen (MedGG-Beiheft 61).